Einführung

Fair zieht an – und warum wir uns trotzdem nicht fair anziehen

Von Gesche Hübner

“Mehr als 190 Millionen Kinder unter 15 Jahren arbeiten tagtäglich unter ausbeuterischen Bedingungen. Knapp 10% der weltweit verwendeten Pestizide kommen auf Baumwollfeldern zum Einsatz. Dabei sickern 400.000 Tonnen Schädlingsbekämpfungsgifte in Boden und Grundwasser.”

Beim Lesen solcher Meldungen müsste doch eigentlich jedes konventionell hergestellte Kleidungsstück einen Juckreiz schlechten Gewissens und den Impuls zum sofortigen Entkleiden hervorrufen. Warum kaufen dann immer noch so wenige Menschen fair hergestellte Kleidung?

Der Frage, was “grünes Verhalten” motiviert, wird auch in der Wissenschaft nachgegangen, etwa in der Umweltpsychologie, in der es um die komplexen Interaktionen zwischen Menschen und der Umwelt geht. Die Forschungsergebnisse werden in wissenschaftlichen Zeitschriften wie dem Journal of Environmental Psychology oder Environmental Education Research publiziert. Die Forschung in diesem Bereich hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, ist aber alles andere als neu [1].

Bereits in den 1970ern wurden erste Modelle postuliert, die besagen, dass mehr Wissen über die Umwelt zu einem größeren Umweltbewusstsein und dadurch zu einem umweltfreundlicheren Verhalten führt. Bedeutet also: Die Bevölkerung weiß einfach zu wenig über die Problematik konventionell hergestellter Kleidung. Abhilfe wäre einfach zu schaffen: Man starte eine nationale Aufklärungskampagne über “grüne Kleidung”. Die Leute würden anfangen, mehr fair produzierte Kleidung zu kaufen, das Angebot würde steigen, die Preise sinken… Ende grün, alles grün. So einfach ist es natürlich nicht, denn nur Wissen allein über ein Umweltproblem reicht eben nicht aus, um Verhaltensänderungen zu bewirken.

Auch Modelle, die Altruismus, Empathie und prosoziales Verhalten – also die “Gutmensch-Eigenschaften”, als Schlüsselfaktoren für umweltfreundliches Verhalten annehmen, greifen zu kurz. Zwar neigt man eher dazu, fair produzierte Kleidung zu kaufen, wenn man generell um andere bekümmert ist als wenn andere einem den (un)bekleideten Buckel runterrutschen können, aber ausreichend ist eine solche prosoziale Orientierung nicht.

Offenbar ist die Sachlage kompliziert. Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie viele Faktoren schon bei der simplen Entscheidung “Rock oder Hose bei der Arbeit heute” eine Rolle spielen können.
Die Forscher Anja Kollmuss and Julian Agyeman von der Tufts University in Massachusetts (USA) haben umfassend herausgearbeitet, welche Faktoren unser Verhalten gegenüber der Umwelt tatsächlich beeinflussen.

Die Verfügbarkeit von umweltfreundlichen Angeboten und der leichte Zugang zu ihnen spielen eine wichtige Rolle. Müsste man sich erst stundenlang auf die Suche begeben, um einen “fair trade” Kleidungsladen zu finden, dann ist die Bereitschaft, dies zu tun, gering. Soziale und kulturelle Faktoren prägen Umweltverhaltensweisen ebenfalls. In Deutschland etwa wurde der saure Regen als viel bedrohlicher erlebt als etwa England: In Deutschland gilt der Wald als wichtiges Kulturgut und der saure Regen wurde ursächlich mit Waldsterben in Verbindung gesetzt [2]. Auch wirtschaftliche Faktoren sind von Bedeutung, denn der Homo Oeconomicus möchte gern möglichst wenig Geld ausgeben und vernachlässigt den Aspekt, dass die “grüne Kleidung” langfristige und weitreichende, nicht auf ihn beschränkte, positive Auswirkungen hat (und vielleicht auch länger hält und im Endeffekt sogar preiswerter sein kann).

Ein grundsätzliches Wissen über Umweltbelange ist mit umweltfreundlichem Verhalten assoziiert, aber nur zu einem geringem Teil und auch nicht unbedingt; sprich: Auch ohne Umweltwissen kann umweltfreundliches Verhalten gezeigt werden (zum Beispiel, um Geld zu sparen oder Teil einer größeren Gruppe zu sein) und trotz Wissen über Umweltbelange wird umweltzerstörerisches Verhalten gezeigt. Letzteres erscheint paradox, lässt sich aber leicht erklären, wenn man typische Umweltproblematiken anschaut. Ein Gros der Umweltzerstörung nehmen wir nicht wahr, weil der Effekt räumlich und zeitlich entfernt von uns auftritt: Das Grundwasser wird in China belastet, unterbezahlt gehen nicht die eigenen Kinder nach Hause (die sind ja eh in der Schule), sondern anonyme Kinder in Bangladesh, und die abgeholzten Wälder merkt man auch nicht, wenn man sich in der top sitzenden, konventionell hergestellten Jeans zum Schnäppchen-Preis im Spiegel bewundert. Auch wenn das Wissen vorhanden ist, sind die negativen Konsequenzen so weit entfernt von uns, dass sie unser Handeln nicht beeinflussen.

Persönliche Werte, also unser Glaube, was gut und schlecht ist, sind zentral im Hinblick darauf, wie umweltfreundlich oder -unfreundlich wir uns verhalten. Werte werden vor allem durch das engere soziale Umfeld geprägt; vor allem Eltern sind für unsere Wertvorstellungen ausschlaggebend. Wenn Eltern durch ihre Funktion als Vorbilder oder Anreizsetzende umweltfreundliches Verhalten bei ihren Kindern fördern, übernimmt die jüngere Generation diese Wertevorstellungen. Das Gleiche gilt für den engeren Freundeskreis; auch hier werden unsere Wertvorstellungen stark geprägt.

Ein letzter, zentraler Faktor ist der so genannte “locus of control”. Gemeint ist damit die Annahme, ob man durch das eigene Verhalten etwas verändern kann. Wer glaubt, dass es nichts bringt, ein fair gehandeltes T-Shirt zu kaufen (weil der Rest der Bevölkerung es sowieso nie tun wird, die Umwelt trotzdem zerstört wird und Arbeiter dennoch leiden), der ist weniger geneigt, fair gehandelte Kleidung zu kaufen als jemand, der glaubt, dass sein Verhalten sich positiv auswirkt.

Viele Faktoren beeinflussen also, wie umweltfreundlich oder auch nicht wir uns verhalten. Das schlechte daran: Es wird keine simple Strategie geben, um die Bevölkerung dazu bewegen, nur noch fair gehandelte Kleidung zu kaufen. Das Gute: Es gibt viele Ansatzmöglichkeiten, um Verhaltensänderungen zu bewirken.

Was tun?

Wir brauchen ein möglichst breites, leicht zugängliches Angebot an fair gehandelter Kleidung. Unter diesem Aspekt ist es sehr zu begrüßen, dass auch große Ketten wie C&A und H&M inzwischen Produkte fairer Herkunft anbieten. Damit wird ein breites Publikum erreicht und für relativ wenig Geld kann faire(re) Kleidung erstanden werden [3]. Um die unmittelbare Verfügbarkeit zu erhöhen, wäre eine Kooperation mit lokalen Bioläden denkbar, die es ja inzwischen in fast allen Städten und in Kleinstädten gibt.

Dass kulturelle und soziale Faktoren unsere Werte und Einstellungen beeinflussen, können wir uns in mehrfacher Hinsicht zu Nutze machen. Wir brauchen Vorbilder für alle Bevölkerungsschichten, die sich zu fair wear bekennen. Vielleicht könnte Herr Bundespräsident ja in der nächsten Weihnachtsansprache eine fair gehandelte Krawatte tragen. Und wenn Germany‘s Next Top Model auf Grün stünde, wäre dies für die Verbreitung fairer Kleidung sicher ein Segen! Schulen könnten eine Unterrichtseinheit über “faire Kleidung” anbieten: Ethik, Geschichte, Geographie, Biologie… – die Möglichkeiten sind breit gestreut. Gleichzeitig ist jeder einzelne von uns Rollenmodell für seine nächste Umgebung und kann dies nutzen, um die Vorteile fairer Kleidung zu werben. Ein guter Grund, sich noch ein weiteres fair wear T-Shirt zu kaufen, um dann mit tragenden Argumenten die beste Freundin oder den Onkel davon zu überzeugen, dass fair anzieht! Für einen ersten Überblick gibt es unsere Faire Shopliste.

Wichtig ist bei allen Bildungs- und Werbekampagnen unsere individuelle Verantwortung und die ganz konkreten Auswirkungen unseres Handelns zu betonen, um die Lücke zwischen reinem Wissen über die Konsequenzen und die Bewusstheit dieser zu verkleinern. Es reicht also nicht, faire Kleidung als “besser” zu bezeichnen; idealerweise wäre jedes Kleidungsstück mit einer genauen Auszeichnung versehen, inwiefern es besser ist, etwa mit einer Auflistung der Differenz beim Wasserverbrauch, dem Pestizideinsatz und den gezahlten Löhnen.
Übrigens spielen auch demographische Faktoren eine Rolle für die Ausprägung des umweltfreundlichen Verhaltes: Frauen sind emotional involvierter, besorgter über Umweltzerstörung und eher bereit, sich zu verändern. Von daher, Mädels, redet doch insbesondere mal mit den Jungs, damit es dann irgendwann heißt: “Grün, grün, grün sind alle meine Kleider / grün, grün, grün ist alles, was ich habe/ darum lieb ich alles, was so grün ist / weil mein Schatz die Umwelt, Umwelt ist.”

Vortrag zum Thema vom 30. September 2011 auf der Fair Wear Fashion Show in Düsseldorf

[1] Die Fachzeitschriften sind in der Regel nicht frei zugänglich, sondern nur über Abonnements. Die meisten Universitäten haben einen Zugang. Ansonsten lohnt es sich auch nach Artikeln im Netz zu suchen, immer mehr Autoren stellen ihre Publikationen auf ihrer Homepage zum Download bereit.

[2] Boehmer-Christiansen & Skea, 1991

[3] Aber Achtung! In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Skandalen rund um die Herstellungsbedingungen und Zertifizierung. Artikel zu diesem Thema gibt es hier.

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